Auf Chance-Risiko-Verhältnisse kommt es an- 11.10.2013

Auf Chance-Risiko-Verhältnisse kommt es an

Wer es mit einem 30-Tonner über eine Brücke schafft, die nur für 7,5 Tonnen ausgelegt ist, der hat Glück gehabt. Er ist weder ein Genie, noch hat er das Richtige getan – es sei denn, dass ihn diesseits der Brücke ein schlimmeres Schicksal erwartet hätte als bei ihrem Zusammenbruch. Denn der Einsturz der Brücke war ja nicht garantiert, sondern unter den gegebenen Voraussetzungen lediglich wahrscheinlich.

Mit diesem Bild wird mein den Finanzmärkten angemessenes Denken in Chance-Risiko-Verhältnissen sehr gut zum Ausdruck gebracht. Den meisten Menschen ist dieses Denken allerdings fremd. Solange die Kurse steigen, glauben sie, dass die Bullen das Richtige getan haben.

Aber so einfach ist die Sache eben gerade nicht: Wenn einem Kursanstieg ein unverhältnismäßig hohes Risiko gegenüberstand, dann hatten die Bullen einfach nur Glück, dass in diesem konkreten Fall nicht das Wahrscheinliche eingetreten ist. Und wenn sie dauerhaft unattraktive Chance-Risiko-Verhältnisse ignorieren, dann müssen sie den Gesetzen der Statistik folgend entweder - wie Indiana Jones in seinen Abenteuern - das Glück gepachtet haben, oder sie werden früher oder später heftig unter die Räder kommen.

Das Finanzgedächtnis der meisten Menschen ist kurz

Diese Erfahrung durften viele unbedarfte Anleger an den Aktienmärkten von 2000 bis 2002 und dann noch einmal von 2007 bis 2009 machen. Inzwischen ist die Erinnerung daran längst wieder verblasst, denn das Finanzgedächtnis der meisten Menschen reicht erstaunlicherweise selten über zwei bis drei Jahre hinaus. Und nichts scheint verlockender zu sein als die Sirenengesänge der Bullen in der Endphase eines zyklischen Aufwärtstrends – mit Ausnahme der Sirenengesänge der Bullen in der Endphase eines langfristigen Aufwärtstrends.

Aber kann man Chance-Risiko-Verhältnisse an den Aktienmärkten überhaupt messen? Die vor allen bei Universitäts-Professoren weit verbreiteten Anhänger der Random-Walk-Hypothese verneinen diese Frage. Sie vertreten die Meinung, dass Aktienkurse einer statistischen Zufallsverteilung folgen und deshalb nicht prognostizierbar sind.

Große Teile der Finanzindustrie haben diese These mit offenen Armen aufgenommen. Sie nutzen sie als Argument, um ihren Kunden immer den Kauf von Aktien zu empfehlen. So schwer es mir fällt, das einzugestehen, aber diese weit verbreitete Vorgehensweise begründet tatsächlich ein tragfähiges Geschäftsmodell: es funktioniert! Denn die meisten Anleger sind nicht dazu bereit, einen Fondsmanager oder Vermögensverwalter zu bezahlen, wenn dieser die ihm anvertrauten Gelder nicht umgehend investiert, sondern – auf Chance-Risiko-Verhältnisse achtend – zum Abwarten rät.

Tanzen, solange die Musik spielt

Viel kundenfreundlicher in diesem zugegebenermaßen etwas kuriosen Sinne - und obendrein auch sehr viel einfacher - ist es stattdessen, immer bullish zu bleiben, immer Aktien zu kaufen, immer voll investiert zu sein und nicht auf Chance-Risiko-Verhältnisse zu achten. Charles Prince, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der damals größten Bank der Welt, der Citibank, hat es kurz vor Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2007 auf den Punkt gebracht, indem er sagte: „Wenn die Musik aufhört zu spielen – im Sinne von Liquidität -, dann werden die Dinge kompliziert. Aber solange die Musik spielt, musst du aufstehen und tanzen. Wir tanzen noch.

Wie dieser Tanz endete und wie kompliziert es tatsächlich wurde, das wissen Sie wahrscheinlich noch. Die Citibank-Aktie notierte damals bei 51,60 Dollar. Bis Ende Februar 2009 war sie auf 1,40 Dollar gefallen, und die Bank wurde schließlich auf Kosten des Steuerzahlers vor dem Bankrott gerettet. Mit anderen Worten: Der zwischenzeitlich geschasste wilde Tänzer Prince hatte die größte Bank der Welt ruiniert.

Wie alle anderen Dauerbullen der Welt tröstete er sich, seine Aktionäre und seine Kunden mit der lächerlichen Behauptung, niemand habe auch nur im Entferntesten ahnen können, wie schlimm es kommen werde. Dabei gab es durchaus Analysten, die nachweislich frühzeitig und sehr konkret auf die damals vorhandenen Risiken hingewiesen hatten. Gegen die süßen Sirenengesänge der Berufsoptimisten konnten sie sich aber nicht behaupten. Und nachdem das Kind dann in den Brunnen gefallen war, wollte das Heer der Bullen natürlich auch nicht an die Existenz dieser weitsichtigen Mahner erinnert werden.

Citibank-Aktie, 2007 bis 2009
Der Aktienkurs der damals größten Bank der Welt fiel um 98%. Sie wurde dann auf Kosten des Steuerzahlers vor dem wohlverdienten Untergang gerettet.
Quelle: Quelle: www. decisionpoint.com

Sie tanzen schon wieder auf dem Vulkan

Nachdem dieser wilde Tanz ein so unerfreuliches Ende genommen hatte, tat die Zentralbanknomenklatura ab Ende 2008 alles in ihrer geldpolitischen Macht Stehende, um möglichst umgehend eine neue Tanzveranstaltung auszurichten. Und tatsächlich tanzen sie seither wieder.

Die Gelddrucker und Staatsschuldenmacher haben dafür gesorgt, dass ein in diesem Ausmaß nie zuvor gekannter Tanz auf dem Vulkan begonnen hat. Allerdings haben sie damit ein sehr unangenehmes Dilemma geschaffen. Wenn sie den Tanz beenden, wird sofort eine Wirtschafts- und Finanzkrise beginnen, die noch verheerender ausfallen wird als die Krise des Jahres 2008. Und wenn sie stattdessen weitertanzen lassen, wird früher oder später der Vulkan ausbrechen und das Weltwährungssystem unter sich begraben – mit allen unangenehmen Folgen, die das mit sich bringen wird. So, liebe Leser, stellt sich die Situation aus meiner analytischen Perspektive dar.

Natürlich stimmt es, dass der Vulkan bisher noch nicht ausgebrochen ist. Aber diese Tatsache spricht nicht gegen die warnenden Stimmen. Denn das Risiko des Mittanzens ist in dieser Lage einfach viel zu hoch, die Crash-Wahrscheinlichkeit zu groß und die Ausgangstür so klein, dass nur ganz wenige Partygäste hindurch passen werden, sobald der Vulkanausbruch beginnt.

Aktienmärkte deutlich überbewertet

Das Shiller-KGV des Weltleitindex‘ S&P 500 ist eine – allerdings recht grobe - Möglichkeit, das Chance-Risiko-Verhältnis der Aktienmärkte zu messen. Ist diese Kennzahl hoch, dann ist das Chance-Risiko-Verhältnis unattraktiv, ist sie hingegen niedrig, dann ist es entsprechend attraktiv. Mit derzeit 24,25 Punkten ist das Shiller-KGV historisch gesehen sehr hoch. Gleichzeitig befindet sich die Gewinnmarge des Unternehmenssektors zurzeit auf einem Rekordniveau. Bereinigt man das Shiller-KGV um die Gewinnmarge, dann steigt es sogar auf extrem hohe 30 Punkte.

Den langfristigen Verlauf dieser Kennzahl sehen Sie auf dem folgenden Chart. In der Vergangenheit war es keine gute Idee, in Zeiten hoher Shiller-KGVs Aktionär zu sein – auch wenn man manchmal recht lange warten musste, bis die unvermeidbare Baisse begann.

Nächste Woche werde ich an dieser Stelle darauf zu sprechen kommen, woran attraktive Chance-Risiko-Verhältnisse und damit gute Einstiegszeitpunkte an den Aktienmärkten zu erkennen sind. Nur so viel sei schon jetzt verraten: Nach dem Platzen der aktuellen Blase rechne ich nicht nur mit einer attraktiven zyklischen Kaufgelegenheit wie in 2009, als ich letztmals zum Einstieg blies, sondern mit einer langfristigen, strategischen Kaufgelegenheit. Die kommenden Jahre versprechen auf jeden Fall überaus spannend zu werden.

Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500, 1880 bis 2013
Aktuell beträgt diese fundamentale Kennzahl sehr hohe 24,25 Punkte. Bereinigt man sie um die Gewinnmarge, die auf ein Rekordniveau gestiegen ist, dann beträgt das Shiller-KGV sogar 30 Punkte.
Quelle: Quelle: www. econ.yale.edu

Schlimmste humanitäre Krise seit sechs Jahrzehnten

Pressmeldungen zufolge ist gerade ein Bericht des Roten Kreuzes erschienen, in dem berichtet werde, dass sich 43 Millionen Europäer kein Essen mehr leisten könnten und auf Suppenküchen und Spenden angewiesen seien. Laut Rotes Kreuz handele es sich um die schlimmste humanitäre Krise in Europa seit sechs Jahrzehnten.

In meinem gemeinsam mit Roland Leuschel verfassten und 2004 erschienen Buch „Das Greenspan Dossier“ sprach ich davon, dass mit dem Platzen der Aktienblase eine Zeitenwende begonnen habe. Seit dem Platzen der Immobilienblase und der dadurch ausgelösten Wirtschafts- und Finanzkrise des Jahres 2008 habe ich mehrmals die These aufgestellt, dass wir uns inmitten einer verheerenden Wirtschaftskrise befinden, die dereinst als Depression beziehungsweise zweite Weltwirtschaftskrise in die Geschichte eingehen wird. Dass Europa jetzt nach Einschätzung der Roten Kreuzes die schlimmste humanitäre Krise seit sechs Jahrzehnten erlebt, überrascht mich also nicht. Aber dass gleichzeitig der DAX in der Nähe seines Allzeithochs notiert, das hätte ich tatsächlich nicht für möglich gehalten. Das ist das Schöne, Spannende und Aufregende, aber gleichzeitig auch Frustrierende am Beruf eines Analysten: Er erlebt immer wieder Überraschungen und lernt nie aus.

Jogi Löw und die Kritik

Natürlich muss gerade ein kritischer Analyst auch selbst Kritik ertragen können – sowohl konstruktive als auch destruktive, angebrachte und unangebrachte, sachliche und unsachliche, kurz: jede nur erdenkliche Form und Qualität. Auch das gehört zu seinem Job. Und zwar ohne Wenn und Aber.

Ganz anders scheint das bei Fußballbundestrainern zu sein. Hören wir, was Jogi Löw gerade erst zum Thema Kritik zu sagen hatte:

Dass man keine Kritik äußern darf, ist mir neu“, so Löw. „Es geht aber um die Form und Qualität der Kritik, ob sie konstruktiv ist. Und wenn dem so ist, kann man Kritik äußern“.

Und ob dem so ist, das bestimmt wahrscheinlich der allseits beliebte Bundestrainer, oder?

Ich wünsche Ihnen ein erholsames und fröhliches Wochenende,

Herzliche Grüße,

Ihr

P.S.: Den Fußballfreunden unter Ihnen wünsche ich viel Spaß mit Jogi Löw und seinen konstruktiven Kritikern.

Was machen eigentlich … meine Steuergroschen?

Wir Steuerzahler und die staatlich finanzierten Museen

Wo sind sie denn nur hingekommen, meine Steuergroschen?
Autor: Gotthilf Steuerzahler

Liebe Leserinnen und Leser,

in Deutschland gibt es viele Museen, über 6000 sind es inzwischen, und es werden jedes Jahr mehr. Das interessiert Sie nicht, sagen Sie? Sie gehen höchstens mal ins Museum, wenn es heftig regnet und Sie keinen Schirm dabei haben? Nun, dann sollten Sie wissen, dass der größte Teil der Museen in Deutschland direkt oder indirekt aus Steuermitteln finanziert wird. Sie müssen also gar nicht selbst ins Museum gehen. Mit Ihren Steuergroschen, die Ihnen der Staat bei der Gehaltsabrechnung, an der Supermarktkasse und an der Tankstelle heimlich, still und leise abzieht, unterstützen Sie - gewollt oder ungewollt – auch die blühende Museumslandschaft dieser Republik!

Aber die Museen nehmen doch Eintritt von ihren Besuchern, werden Sie vielleicht einwenden. Das stimmt, aber die Eintrittsgelder sind hierzulande bei weitem nicht kostendeckend. Auch renommierte Häuser, die viel Publikum anziehen, haben regelmäßig nur einen Kostendeckungsgrad von 20 bis 30 %. Bei vielen Museen ohne besondere Anziehungskraft ist der Kostendeckungsgrad sogar noch niedriger.

 

Angeblich vermindert sich die Publikumsnachfrage, wenn die Eintrittspreise erhöht werden. Der internationale Vergleich zeigt jedoch, dass in anderen Ländern höhere Eintrittspreise gefordert und auch gezahlt werden, ohne dass der Publikumszuspruch darunter leidet. Dementsprechend ist in vielen europäischen Nachbarländern der Grad der Eigenfinanzierung deutlich höher als in Deutschland! Hier besteht Nachholbedarf für die deutschen Museen, die überwiegend von den Kommunen, teilweise auch von den Bundesländern oder vom Bund finanziert werden.

Zusammenspiel zwischen Politik und Empfängern öffentlicher Gelder

Aber es ist ja für die Verantwortlichen der steuerfinanzierten Museen viel einfacher, nach mehr Steuergeldern zu rufen, als die eigenen Einnahmen zu erhöhen oder die Kosten zu reduzieren. Man muss nur ein paar Politiker von seiner Bedürftigkeit überzeugen, schon ist man auf der sicheren Seite. Um die Erwartungen und Wünsche des Publikums muss man sich dann nicht mehr kümmern. Hier hat sich in Deutschland ein verhängnisvolles Zusammenspiel zwischen der Politik und den Empfängern öffentlicher Gelder entwickelt. Es werden immer wieder Gründe gesucht und auch gefunden, weshalb gerade diese Einrichtung, gerade dieses Vorhaben besonders wertvoll, ja geradezu unverzichtbar sei und darum auch finanzielle Unterstützung durch den Staat verdiene. Dass man vorrangig seine Kosten senken oder seine am Markt erzielbaren Einnahmen erhöhen sollte, wird von den Einrichtungen, die es sich an den staatlichen Futtertrögen gut eingerichtet haben, durchweg als Zumutung empfunden.

Die politisch Verantwortlichen machen dieses Spiel mit, erhöht es doch ihren Einfluss, wenn immer mehr Lebenssachverhalte von der Politik entschieden werden. Politiker wollen „gestalten“, was vielfach nichts anderes heißt, als über die Zuteilung von Ressourcen zu entscheiden. Die urdemokratische „Abstimmung mit den Füßen“, die Entscheidung über Angebot und Nachfrage durch den Markt, ist hierzulande in vielen Zusammenhängen nicht populär.

Sorgloser Umgang mit Steuermitteln

Wenn dann die Museumsverantwortlichen mit Hilfe der Politik die so nachdrücklich geforderten finanziellen Ressourcen ergattert haben, heißt das noch lange nicht, dass sie mit diesen Geldern besonders sorgsam umgehen. Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen Steuergelder verschwendet werden, anstatt sie sinnvoll für die angeblich so wichtige Tätigkeit der Einrichtung einzusetzen. Beim Neubau eines Museums in einer rheinischen Großstadt vor einigen Jahren wurden die Ausstattungsstandards vergleichbarer, auch repräsentativer Museumsbauten weit überschritten. Bei Verglasung, Putz und Raumhöhe entschied man sich jeweils für besonders teure Lösungen. Auch wurden der Verwaltungsbereich und die Depots des Museums mit demselben edlen Parkett aus Eiche ausgelegt wie die Ausstellungsräume. Allein für das Design von Schrifttafeln an der Fassade des Museums wurden 60.000 Euro ausgegeben. Das dient alles nicht unbedingt der Zweckbestimmung eines staatlich finanzierten Museums, das kulturelle Erbe zu bewahren und der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

In einem anderen Fall wurden die Räume der Museumsgastronomie für mehr als 600.000 Euro nach den Vorstellungen des Architekten und des Museumsdirektors durch künstlerische Ausgestaltung der Wände und Decken aufwendig renoviert. Für weitere 600.000 Euro stattete man dann die Räume mit exklusivem Mobiliar aus. Die Museumsleitung rechtfertigte die hohen Ausgaben mit dem besonderen Charakter des Museumsgebäudes. Es handele sich um ein international renommiertes Ausstellungshaus für Kunst und um einen Ort der Repräsentation. Na, wenn das nicht überzeugend ist! Die aufwendig renoviert und ausgestatteten Räume der Museumsgastronomie wurden dann zu einem lächerlich geringen Preis an einen Privaten verpachtet, so dass dem Museum jährlich erhebliche Verluste entstehen.

Museen müssen wirtschaftlicher werden

Die vorstehenden Beispiele zeigen, dass sich wirtschaftliches Denken und Handeln bei vielen Museen noch nicht durchgesetzt hat. Die Verantwortlichen fühlen sich immer noch als Teil der öffentlichen Verwaltung, die sich wenig Gedanken über Fragen der Finanzierung macht. Und dass jemand für Missmanagement persönlich einstehen muss, kommt im staatlichen Bereich ohnehin nicht vor.

Anstatt sich auf das zahlende Publikum und dessen Wünsche einzustellen und Einnahmen zu erzielen, wurden hier Steuergelder auf den Kopf gehauen und das Vorgehen mit fadenscheiniger Begründung gerechtfertigt. Dabei zeigen Erfahrungen aus dem Ausland, dass sich mit Museumsgastronomie und mit Museumsshops gutes Geld verdienen lässt, wenn man mit der richtigen - unternehmerischen – Einstellung an diese Aufgabe herangeht. Dass diese Einstellung auch bei den staatlich finanzierten Museen in Deutschland zunimmt und sich dadurch die Finanzierung durch Steuergelder verringert, das, liebe Leserinnen und Leser, wünscht sich

Ihr häufiger in Museen als auf Fußballplätzen verweilender


Gotthilf Steuerzahler